
Ich bin Marco. Ich wohne bereits seit ein paar Jahren in Weimar. Ich mag diese Stadt und ich kenne mich hier sehr gut aus. Ich habe in der Bauhaus Uni Urbanistik studiert und arbeite jetzt in einem Planungsbüro. Meine große Leidenschaft ist Musik. Ich habe immer nebenbei Musik gemacht, vor allem als Sänger und Gitarrist. Gerade spiele ich in einem Duo. Wir machen Synth Pop und New Wave Musik. New Wave geht auf die 80er Jahre zurück, als die Bands nach dem Punk in der Pop Musik die Kunst gesucht haben. Wir experimentieren viel mit Synthesizern, Drum Computern, E-Gitarren und Gesang. Ich komme aus Peru und da gab es eine sehr interessante New Wave, Dark Wave Szene. Viel Chorus und Reverbs mit energievollen, schnellen Schlagzeug Beats. Selbst wenn das Lied gerade melancholisch klingt begeistert es mich.
Ist Musik meistens „Sie liebt mich“, oder „Sie liebt mich nicht“?
Ich glaube beides. Hmm. Ich glaube doch „Sie liebt mich nicht“, die Leute schreiben mehr über Schmerzen. Das merkt man auch, wenn man Poesie liest. Denn Kunst ist eine Möglichkeit, sich zu befreien. Wenn man glücklich ist, ist man beschäftigt mit der Liebe. Ich bin ein sehr melancholischer Typ. Ich meine nostalgisch. Das verwechsle ich manchmal. Ich schaue mir gerne alte Bilder an und liebe alte Rennwagen aus den 80ern. Die Gruppe B und das alles. Museen, alte Zeitschriften, alte Musik. Alte Fußballspiele! Ich habe vor kurzem Argentinien gegen England aus dem Jahr 1986 geschaut. Ich liebe Geschichten, die haben generell eine gewisse Nostalgie in sich.
Was hältst du von der Idee, in der Gegenwart zu leben?
Ich lebe im Moment. Ich mache mir wenig Gedanken über die Zukunft. Ich lebe nicht in der Vergangenheit. Ich mag nur die Ästhetik in Bezug auf Künste, Musik und Pop-Culture. Es gibt Leute, die gerne wandern gehen. Ich gehe lieber in eine Bibliothek. Eine Art introspektivisches Wandern.

Was interessiert dich an der Vergangenheit?
Alles Mögliche. Mein Lieblingsmuseum in Weimar ist das Stadtmuseum. Da gibt es jede Menge alte regionale Sammlungen. Diese ganzen Objekte sind sehr interessant, denn sie lehren uns viel über die Gedanken, Lebensweise und Ästhetik der Menschen von damals. Man kann den heutigen Menschen besser verstehen, wenn man sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Seit der Schule bin ich Geschichte Fan und irgendwann hat das meine Musik geprägt, so dass ich auch gerne auf alten Instrumenten spiele.
Was inspiriert dich noch?
Aktuelle Themen. Aktuelle Technologien. Wir, also meine Band und ich, sind inspiriert von den 80ern, aber wir haben keine Angst vor neuen Sachen. Natürlich benutzen wir auch neue Synthesizer und kombinieren vieles. Alles was um uns herum passiert, beeinflusst uns. Bei manchen Liedern denke ich mir auch: ah stimmt, das haben wir geschrieben, weil gerade das oder jenes passiert ist. Oft inspirieren uns Freunde oder Erzählungen von ihnen. Es gibt ein Lied von unserem Duo, das von der Liebe zu Maschinen handelt. Eine Ode an die Maschinen. Viele kritisieren andauernd Technik und reden von der Natur. Natürlich ist uns die Natur wichtig, wir sind die Natur, ohne sie sind wir nichts, aber man muss die Maschinen auch nicht so hassen. Wir müssen auch dankbar sein, dass wir so viele Tools haben, die uns das Leben einfacher, die Musik vielfältiger und unsere Gesundheit besser machen. Ich erinnere mich an ein Lied. Eine gute Freundin von mir hatte eine sehr schwierige Trennung. Ich habe etwas darüber geschrieben. Oder hier die Bäume vor uns, durch die so schön das Licht strahlt, wir haben auch einmal ein Lied darüber geschrieben. Dafür haben wir uns noch ein japanisches Wort „conodevi“ rausgesucht.
Haben dich auch Menschen beeinflusst?
Beeinflusst ja, ob ich Vorbilder hatte weiß ich nicht, denn wir alle sind Menschen mit Fehlern. Kein Mensch kann ein Vorbild für einen anderen Menschen sein. Die einzige Person, wo ich sagen könnte, dass sie nie etwas Falsches gemacht oder gesagt hat, war mein Opa. Ein perfekter Gentleman in jeder Hinsicht. Kultiviert, respektvoll und ich habe ihn nicht ein einziges Mal fluchen gehört. Er wäre vielleicht mein Vorbild, aber ich bin noch weit entfernt seine Größe zu erreichen. An eine konkrete Situation,wo er mich geprägt hat, erinnere ich mich nicht. Es war eher seine Art und Weise ,wie er mit allen Menschen umgegangen ist. Auch wie korrekt er mit Menschen in Konflikten umgegangen ist und wie nett und intelligent er immer war. Nach der Schule haben mich meine Eltern immer zu ihm geschickt, da sie bis abends arbeiten mussten. Er hatte viele Bücher zuhause. Über ihn habe ich dann auch meine Liebe zur Geschichte entdeckt. Die alten Kulturen: Römer, Griechen, Ägypter. Das hat mich sehr fasziniert. Er ist der einzige Mensch, über den ich sagen würde, er sei ein Vorbild, denn viele anderen…. Wir allen haben Macken.Vielleicht er auch. Ich kann ja aber etwas an einem Menschen als vorbildlich sehen und nicht gleich die komplette Person. Ich liebe es, wie Maradona Fußball spielt. Mich fasziniert wie James Morrison singt. Wie Ritchie Blackmore von der Band Deep Purple die Gitarre spielt. Trotzdem haben alle diese großen Persönlichkeiten auch Macken. Ich bin ein Mensch, der mehr das Werk oder das Talent anstatt den Menschen dahinter als Vorbild nimmt.

Wie verhält es sich, wenn etwa der Autor eines großen Werkes ein sehr schlechter Mensch ist?
Objektiv betrachtet ist das Werk einfach das Werk und wenn es gut ist, dann ist es gut. Subjektiv betrachtet kann man nicht mehr Michael Jackson hören. Viele Menschen haben ihn gecancelt nach den vielen neuen Berichten. Er hat ein paar Lieder, die genial sind und die bleiben weiterhin genial. Ich feiere ihn nur nicht mehr so sehr, aber die Platte „Of the Wall“ ist immer noch eine unglaublich tolle Platte!
Es gibt prinzipiell auch immer Unterschiede. Besäuft sich ein Künstler im Park, kann das Mal passieren. Das ist nicht dasselbe, wie wenn z.B. Xavier Naidoo seinen Rechtsextremismus über seine Musik verbreitet. Als Kind fand ich auch den surrealistischen Maler Dali sehr toll, aber als ich später herausgefunden habe, dass er gut mit dem Diktator Franko befreundet war, hat das auch einiges geändert. Er ist jetzt kein cooler Typ mehr, ein paar seiner Bilder sind natürlich immer noch genial.
Wir sitzen hier gerade auf einer Bank im Ilmpark. Warum spielst du gerne an diesem Platz Gitarre?
Wenn ich jetzt z.B. gerade diesen Schlossturm zwischen den Bäumen sehe, kommen mir sofort positive Erinnerungen hoch. Und die Sonne, die gerade so schön durch die Bäume scheint! Ich habe den Ort nicht wegen der markanten Ruine gewählt, sondern da die Bank etwas abseits vom Weg ist und die Leute nicht so nah an mir vorbeilaufen, wenn ich Gitarre spiele. Außerdem spiele ich ja nicht, um Münzen zu bekommen. Ich spiele einfach ganz gerne draußen und möchte auch in Ruhe Songs schreiben.
Was hast du schon hier auf dieser Bank geschrieben und wie hat der Ort dich beeinflusst?
Für mein Duo (Jule) habe ich hier auf jeden Fall ein paar Song geschrieben. Einen Song zu schreiben, ist ein Prozess. Der Ort hier hat in manche Lieder reingespielt ,aber natürlich nicht nur. Hier zu sitzen ist wie im Theater. Die Szenerie vor mir ist je nach Wetter und Menschen unterschiedlich. Wenn ich gerade vor mir ein glückliches Pärchen sehe,habe ich andere Gefühle, als wenn ich fünf Jungs beim Saufen sehe, die sich prügeln. Ich beobachte die Menschen nicht aktiv, aber ich bekomme natürlich mit, was um mich herum passiert.
Erinnerst du dich an etwas Konkretes?
Während ich ein paar Arrangements für einen Song gemacht habe, haben sehr junge Menschen hier das letzte Mal richtig viel gesoffen. Da haben zwei kleine Mädels um die 14 gekotzt, während ich gerade gespielt habe. Das hat mich auch irgendwie an meine ersten Erfahrungen mit Alkohol und Frauen erinnert.
Wie war deine Jugend?
Eher ruhiger. Ich war viel draußen. Erfahrungen mit Alkohol kamen erst mit 17 oder 18. Meine Freunde und ich hatten keine Zeit zum Trinken, wir waren viel Skaten, Fußball spielen und am Musik machen. Ich habe erst Schlagzeug und dann auch Bass für eine Punk Band gespielt. Die Aufnahmen waren sehr schwierig, da es die Technologie noch nicht so gab, wie sie es heute gibt. Heute kann man für 100 Euro eine externe Soundkarte kaufen, das war damals unmöglich. Dann hatte ich Glück. Ein Kumpel hat Toningenieurswesen studiert und ein kleines Studio gegründet, wo wir für sehr wenig Geld aufnehmen konnten. Ich freue mich sehr, dass heute viel mehr Menschen die Möglichkeit haben, zuhause für wenig Geld Musik aufzunehmen oder zu komponieren.
Du liebst die Technik…
Ja, aber ich bin auch kein Gadget-Freak. Es gibt viel Bullshit. Ich habe auch ein altes Smartphone. Meine Liebe zur Technik ist eher allgemein. Ich schätze unglaublich den wissenschaftlichen Fortschritt. Du sprichst mich auf den Film “Modern Times” von Charlie Chaplin an. Die Zeit der Technisierung der Arbeits- und Lebenswelt war sehr schlimm, aber nicht wegen der Maschinen, sondern wegen der Arschlöcher, denen die Maschinen gehörten.
Wie sieht es bei dir als Musiker mit Groupies aus?
Ja, die gab es immer Mal wieder. Haha. Ich habe über die Musik Groupies aber vor allem auch so viele tolle Menschen kennengelernt. Einmal habe ich ein Gedicht bekommen, von einem Mädchen in Peru, die jede Woche in die Kneipe kam, wo wir gespielt haben. Das Gedicht hieß “Agrostico” und sie hat mir für jeden Buchstaben von meinem Namen eine Strophe geschrieben.

Du bist auch noch DJ. Ist es besser aufzulegen oder selber zu spielen?
Ja, aber DJ eher nebenbei. Wenn man live Instrumente spielt, hat man viel mehr Freiheit. Beim Auflegen führt man die Party. Man muss genau das Publikum beobachten und die Lieder auswählen. Es ist toll, wenn die Menschen tanzen und Spaß haben. Aber das ist nicht zu vergleichen mit live singen und spielen,was man selber geschrieben hat.
Was für Musik hören die Menschen in Weimar?
Weimar hat eine sehr tolle Subkultur für elektronische Musik. Es gibt sehr interessante Techno-Crews, aber auch Indie-Alternative Crews. Ich selber lege viel Disco und Funk auf. Die Mehrheit in Weimar steht jedoch eher auf Techno.
Hattest du als Mensch schon sehr große Schwierigkeiten, die du überwinden musstest?
Zum Glück nicht. Ich erinnere mich aber, dass ich am Anfang Schwierigkeiten hatte, an Instrumente zu kommen. Meine erste Gitarre habe ich von meiner Mutter geerbt. Doch eines Tages wurde sie mir auf der Straße geklaut. Zwei Typen mit einem Messer haben mich bedroht und die Gitarre weggenommen. Als ich das meiner Mutter erzählt habe, hat sie sich gefreut und gesagt: „Ja endlich, jetzt konzentrierst du dich bitte erstmal auf die Schule“. Ich hatte dann erst einmal auch kein Geld für eine neue Gitarre. Dann musste ich mir verschiedene kleine Jobs, z.B. Rasenmähen, suchen. Etwas später habe ich von dem Bruder eines Mitschülers eine sehr günstige Gitarre gekauft. Sie war so günstig, weil sie sowas von im Arsch war! Aber besser als nichts.
Wie kam es dazu, dass du Urbanistik in Weimar studiert hast?
Ich habe in Peru erst mit einem Architekturstudium begonnen. Es gab bei den Semesterprojekten immer verschiedene Phasen. Die Phase der urbanistischen, städtebaulichen Voruntersuchungen, bevor es zum Entwurf kam, hat mich immer sehr interessiert. Ob die Gebäude blau oder grün, groß oder klein waren, war mir egal. Es interessierte mich mehr, warum die Gebäude in welcher Art und Weise überhaupt gebraucht wurden.

Was ist dein Motto im Leben?
Lebe heute, nutze jeden Moment, denn das Leben vergeht und kommt nie wieder zurück. Sei glücklich und versuche andere Menschen glücklich zu machen.
Schaffst du es, deinen Einstellungen selber gerecht zu werden?
Ich versuche wirklich jede Sekunde, jede Minute auszuleben, den Kopf oben zu behalten und anderen Menschen zu helfen. Ich mache mir nicht so viele Gedanken über die Zukunft. Das hat mit einer vernünftigen Alltagsvorsorge natürlich nichts zu tun. Mehr mit dem Daily Life.
Wie war dein Tag heute?
Easy. Ich habe ein paar Kosten berechnet für den historischen Friedhof. Da sind wir verantwortlich für ein paar neue Wege und die Sanierung.
Was macht dich momentan für die Zukunft optimistisch?
Es macht mich optimistisch, dass ich mit meiner Band viel Zeit verbringen kann und wir gute Ideen haben. Auch, dass die Krise hoffentlich bald vorbei ist. Ich freue mich darüber, dass die Menschen so kritisch sind und die Situation verstehen und den Idioten wie den Querdenkern Kontra geben.
Wie hat sich die Corona-Krise auf dich ausgewirkt?
Für mich war die Zeit klasse. Wenn ich zuhause bin, bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Natürlich vermisse ich am Wochenende die Kneipen oder ins Restaurant zu gehen.
Leider können wir auch seit Monaten keine Musik mehr live spielen. Das Geld ist halb so wild, aber live zu spielen, ist das, was mir am liebsten von allen Dingen auf der Welt ist. Aber das wird schon wieder.
Link zur Band: instagram.com/iull.music