Dr. Elizabeth Watts

Ich unterrichte technical and scientific English. Das zieht immer Nerds an, was mich freut, denn ich bin auch ein Nerd. Ich habe meiner Tochter immer gesagt, dass ich als Kind ein inkognito Nerd war. Keiner  wusste es. Ich habe immer gerne gelernt. Alles was mit Büchern, Lernen und Wissenschaft zu tun hatte, hat mich begeistert. Den anderen ist das nicht aufgefallen. Wenn ich als Kind gefragt wurde, was für eine Note ich bei einer Klausur habe, habe ich gesagt, dass ich das nicht sagen will. Die sind dann immer davon ausgegangen, dass ich schlechte Noten habe. Aber am Ende der Schule wurde ich geoutet. Bei uns in den USA hängt es von der Endnote ab, welche Robe man anhat. Ein paar meiner Mitschüler haben dann gedacht, dass ich die falsche Farbe abgeholt hatte. „Was machst du da vorne in Weiß?“. Das ganze Lernen war für mich eine sehr private Sache. Meine engsten Freunden wussten etwas mehr über mich, aber für den Rest der Schule war ich nur die, die Fußball spielt. Ich wollte nicht in irgendeine Schublade als Streberin gesteckt werden. Ich stecke selber gerne Menschen in Schubladen und wusste daher vorzusorgen.

Meine Eltern sind beide Wissenschaftler. Wenn die Kinder in den USA krank sind, kann man nicht so leicht Urlaub nehmen wie in Deutschland. Daher sind wir, wenn wir nur leicht krank waren, auf die Arbeit unserer Eltern mitgenommen worden. So konnte ich dann schon als Kind im Labor aushelfen oder hinten in der Vorlesung sitzen und ich dachte mir schon, was das für ein cooler Job ist. Aber ich habe mich dann immer mehr für Sprachen interessiert. Ich war total fixiert auf Indiana Jones.  Er ist total clever, aber nicht der typische Nerd. Er konnte auch so viele Sprachen. Die Vielfältigkeit hat mich begeistert, nämlich dass man sich für Wissenschaft interessieren kann und keine Person sein muss, die den ganzen Tag nur in der Bibliothek abhängt. Man kann um die Welt reisen, Abenteuer erleben und sportlich sein.

Ich bin sehr bewusst bei der Wahl meines Bachelor-Fachs vorgegangen, weil ich mich nicht eingrenzen wollte. Alles mit Staatsexamen wie Lehramt oder Tiermedizin hätte mich mit 18 Jahren auf ein Land festgenagelt. Ich habe mich schließlich für Biologie und Deutsch entschieden, wofür ich extra die Uni gewechselt habe, um eine Sprache mit einem Bachelor of Science kombinieren zu können. Doch dann konnte ich mich nicht zwischen Biologie und Deutsch entscheiden und bin schlussendlich einfach nach Deutschland gezogen, um dort Biologie zu studieren. Mit Deutsch Lernen habe ich ursprünglich wegen Indiana Jones angefangen. Er war oft in Deutschland. Immer wenn ich den Film angeschaut habe, habe ich ein deutsches Wörterbuch rausgeholt und deutsche Wörter nachgesagt.

Was gefällt dir an der deutschen Sprache?
Die deutsche Sprache ist wie Mathe. Das gefällt mir. Es ist eine sehr genau Sprache, die ich wie Gleichungen in der Mathematik lernen konnte. Ich habe versucht Französisch zu lernen, aber da war so viel Ungewissheit. Im Deutschen mit den Vor- und Nachsilben, das ist wie Wörter zusammenaddieren. Sehr mathematisch. Deutsche Literatur war für mich kein Thema. Ich habe zwar Hermann Hesse gelesen, aber auf Englisch. Den einzigen Berührungspunkt mit Deutsch hatte ich in den USA mit meinem Fußballtrainer. Der kam aus Bayern. Komischerweise war er aber der Spanisch Lehrer an unserer Schule. Er hat mir beim Fußball aber immer etwas Deutsch beigebracht.

Prägt die Sprache die Identität?
Zu Beginn war es in Deutschland sehr schwierig. Ich bin eigentlich ein sehr aufgeschlossener Mensch und manchmal auch lustig. Aber als ich nach Deutschland gekommen bin und die Sprache noch nicht so gut beherrscht habe, kam ich mir auf einmal sehr schüchtern und introvertiert vor und relativ langweilig. Es war unmöglich schlagfertig an Gesprächen teilzunehmen. Das hat mich wirklich etwas in Zweifel gestürzt. Wer bin ich, wenn ich mich nicht ausdrücken kann. Ich war sehr gewollt Deutsch zu lernen und habe daher im ersten Jahr englische Kontakte vermieden. Auch wenn ich mittlerweile grammatikalisch korrekt schreibe, merken andere, dass ich keine Muttersprachlerin bin. Aber ich sag auch immer meinen internationalen Studierenden, es ist in Ordnung wenn man es merkt, Ihr seid ja schließlich auch keine Muttersprachler. 

Wie wirkt sich Deutsch auf deine Persönlichkeit aus. Deutsch ist bekanntlich etwas harsch.
Ich merke schon, wenn ich Emails schreibe, dass ich immer versuche diese mit vielen Smiley Faces aufzulockern. Sonst kann schnell eine Härte rüberkommen, die gar nicht gewollt ist. Die Härte der Sprache unterschätzt man manchmal. Wörter so zu benutzen, dass sie Muttersprachler gleich verstehen wie ich sie meine, ist manchmal schwierig. Ich habe mal meinem Doktorvater gesagt, ich sei verzweifelt, was ihn in große Sorge versetzt hat. Dabei habe ich nur versucht doubful ins Deutsche zu übersetzen. Als nicht Muttersprachler kann man daher schnell missverstanden werden.

Ich habe immer noch große Probleme mit Sie und Du. Im Englischen sagt man nur You. Ich habe Nachbarn in meinem Schrebergarten und ich vermeide sie seit vier Jahren direkt anzusprechen. Am Anfang, als ich nach Deutschland kam habe ich alle geduzt. Auch den Institutsdirektor. Andere Studierende haben mir dann gesagt, das sei unhöflich. Ich habe dann auch gemerkt, dass ein Universitätsprofessor, den ich immer geduzt habe, auch von seinen engsten Kollegen nicht geduzt wird. Viele argumentieren für das Sie, um eine Distanz zwischen Lehrenden und Studierenden aufrecht zu erhalten. Ich möchte diese Distanz jedoch gar nicht. Ich sehe mich eher als Coach.

Wir haben im Unterricht vor kurzen über den Klimawandel gesprochen und ich habe die Rolle des „Devil‘s Advocate“ eingenommen. Ich hatte eine neue Gruppe und habe sehr provokativ gefragt: „Ist der Klimawandel echt?“. Ich wollte nur die Studierenden herausfordern, es so zu erklären, dass es auch jemand versteht, der es anzweifelt. Aber die Studierenden habe erst kurz gedacht: „Oh mein Gott, wo bin ich gelandet? “. Dann musste ich die Methode erstmal erklären. Oft ist man an der Hochschule in einer Bubble und muss sich nicht gegen z.B. Klimaleugner verteidigen. Ist man jedoch außerhalb der Uni, kommt das schnell vor, daher muss man auch dies üben.

Wie kann die Debattierkultur in den USA, also die gegenüberliegende Seite einzunehmen, verbreitet sein und das Land gleichzeitig so gespalten?
Wir machen das bereits in der 7. Klasse. Wir werden zufällig aufgeteilt und müssen dann für eine Seite argumentieren, egal was unsere persönliche Meinung ist. Das Problem ist, das Schulsystem in den USA ist alles andere als homogen. Die Spaltung in unserem Land hängt auch mit dem Bildungssystem und Bildungsmangel zusammen. Der Gedanke, jemand der anders ist, ist schlecht und ihm sei nicht zu vertrauen, resultiert oft aus einem Mangel an Begegnungen und Auseinandersetzung.

Wie kann Begeisterung für Wissenschaft vermittelt werden?
Ich lese sehr gerne Physikbücher aus Spaß. Danach betrachtet man die Welt anders. Irgendwie größer. Meine Doktorarbeit konzentriert sich auf Wissenschaftskommunikation und fundamentalistische Personengruppen. Die Antwort scheint sehr leicht zu sein, indem man nämlich versucht, sich auf einer menschlichen Ebene zu begegnen. Für mein zweites Buch habe ich mehrere Interviews mit Wissenschaftsleugnern und Kreationisten (Auffassung, dass das menschliche Leben und das ganze Weltall durch den unmittelbaren Eingriff eines Schöpfergottes entstanden sind) geführt. Ich habe dann auch ein Verständnis dafür bekommen, wie es dazu gekommen ist, dass diese Menschen Wissenschaft verleugnet haben; Was für familiäre Hintergründe vorherrschten und welche emotionalen Verbindungen mit diesen Konzepten bestanden. Ich habe mit einem Mädchen gesprochen, die aus einer religiösen Sekte ausgestiegen ist. Sie hat als Jugendliche mit Homeschooling erstmalig Uni-Kurse besucht und sich dort wohlgefühlt. Auf die Frage, ob sie durch die Wissenschaft und neue Fakten überzeugt wurde, meinte sie jedoch, dass die Menschen im akademischen Umfeld total nett zu ihr waren. Zuvor hatte sie ihr Leben lang gelernt, dass sie sich vor solchen Menschen fernhalten soll. Sie hatte sich in ihrer Kirche nicht mehr so richtig wohl gefühlt. Mit ihren Kommilitonen hatte sie nun das Gefühl, dass sie offen sein kann und angenommen wird wie sie ist. 

Wie kann es sein, dass auch intelligente Menschen an Ideologien glauben?
Viele denken, dass Menschen die Wissenschaft leugnen, ungebildet sind. Aber das ist nicht immer der Fall. Viele sind sehr gebildet, suchen aber aktiv nur die Quellen, die ihre Meinung unterstützen. Häufig auch Quellen, die nicht wissenschaftlich belegt sind. Oft sind sie sehr belesen. Manchmal sind es auch sehr komplexe Situationen. Ein Junge, mit dem ich gesprochen habe, hat Zweifel an der kreationistischen Kirche bekommen. Sein Vater war jedoch krebskrank und sagte ihm, dass sie sich nicht im Himmel sehen werden, wenn dieser der Kirche den Rücken kehren wird. Und für einen Zwanzigjährigen ist das dann nicht einfach nur eine Frage der Wissenschaft. Wir müssen jedem, auch wenn er einer anderen Meinung ist, auf menschlicher Ebene begegnen.

Man kann Fundamentalisten nicht so einfach ändern. Die Antwort möchte keiner hören, aber wir müssen bei uns anfangen. Man muss bereit sein, immer wieder Gespräche mit Andersdenkenden zu führen. Immer wieder Geduld zeigen. Menschen ändern ihre Einstellungen nur freiwillig, zwingen kann man sie nicht. Wenn keine emotionale Bindung zum Gedankengut besteht, kann dieser Wandel schnell passieren. Einen hochemotioalen Klimawandelleugner kann man nicht mit Argumenten überzeugen. Manchmal kann Risk Management helfen. Es wird nicht darüber gesprochen, ob es den Klimawandel gibt, sondern wie man spezielle Probleme lösen könnte. Dass die Schule brennen könnte scheint nicht wahrscheinlich, dennoch übt man den Feueralarm. Dieses Gedankenexperiment ermuntert auch Klimaskeptiker über Lösungen zu sprechen. Was machen wir, wenn das Wasser ansteigt? Wenn man darüber spricht, bekommt man eine Idee von der Ernsthaftigkeit. Danach ist es viel leichter, die Menschen zu erreichen, nachdem man bereits über Lösungen gesprochen hat. Also erst über die Probleme sprechen und nicht über die Ursachen. Viele bleiben bei den Ursachen hängen und befassen sich nicht mit den verheerenden Auswirkungen.

Was hast du von deiner Primatenforschung gelernt?
Ah, genau meine Paviane. Da war ich tatsächlich nicht von Indiana Jones, sondern von Jane Goodall inspiriert. Vor allem habe ich gelernt, dass Feldforschung nicht so sexy ist, wie sie aussieht. Sechs Monate, Zwölf Stunden, sieben Tage die Woche im Busch sitzen und Paviane verfolgen, wird doch irgendwann mit der Zeit etwas eintönig. Für mich war es schön, die Komplexität der sozialen Beziehungen zwischen den Primaten zu untersuchen. Vor allem, dass man selber in die Truppe aufgenommen wird, ist eine spannende Erfahrung. Daher wird man jedoch auch nach sechs Monaten ausgewechselt, da man sonst kein Beobachter mehr ist. Die Primaten fangen irgendwann an auf deinem Schoß zu sitzen, aber das ist dann nicht mehr gut für die Forschung. 

Wir Forscher waren bei der Bevölkerung sehr unbeliebt. Die Paviane sind öfters in die Stadt einmarschiert. Wenn die Paviane Restaurants auseinandergenommen haben, standen wir immer dabei und haben alles aufgeschrieben. Die Leute haben uns dann angeschrien, warum wir UNSERE Paviane nicht woanders hinnehmen. Sie haben unseren Part nicht verstanden, dass wir einfach Daten sammeln und es nicht unsere Aufgabe ist, die Paviane aus der Stadt zu verscheuchen. Für die Menschen dort waren das Ratten und für mich waren es Freunde. Kapstadt hat mittlerweile Aufpasser angestellt, die die Paviane vertreiben sollen.

Was hat dich persönlich in dieser Zeit geprägt?
Wie schnell Lebewesen Emotionen wahrnehmen. Wenn man aufgeregt war, kam es schnell zu Problemen mit den Pavianen, welche dann Aggressionen gezeigt haben. Da musste man dann sehr schnell auf seine Körperhaltung/ Körpersprache achten, um dem Tier nicht das Gefühl zu geben, dass man eine Gefahr darstellt. Ich habe also gelernt, wie man seinen Körper bewegt, wie man seinen Blick und seinen Gesichtsausdruckt ändert. Die Tiere waren gefährlich. Einmal dachte ich, als ich im Busch saß, dass meine Freundin hinter mir saß. Als ich eine Hand auf mir spürte, dachte ich, warum fasst sie mich so an und habe sie aus Reflex weggeschlagen. Dann merkte ich erst, dass es ein großes Pavian Männchen war. Da musste ich schnell eine deeskalierende Haltung einnehmen.

Bringen die Erfahrungen mit den Pavianen auch etwas in der Arbeitswelt?
Ja! Pavianforschung kann auf vieles übertragen werden. Ich habe einmal mit schwer erziehbaren Jugendlichen gearbeitet. Da war es sehr wichtig, dass ich eine sehr autoritäre Position eingenommen habe und erst mit der Zeit Distanz abgebaut habe. Bei Studierenden an der Uni beginne ich jedoch auf Augenhöhe. Welchen Pavian habe ich gerade vor mir, frage ich mich seitdem des Öfteren.

Was ist sonst so Spannendes in Südafrika passiert?
In unserer Haus wurde eingebrochen und außerdem ist unserer Auto immer kaputt gegangen. Daher hatte ich immer Mitleid, wenn ich andere Menschen mit Pannen gesehen habe. Eines Tag habe ich gesehen, dass ein Mädchen versucht hat, ein Auto anzuschieben. Oh, das kenn ich, dachte ich und hielt an. Doch dann wurde ich stutzig, denn ein Mann saß am Steuer, während ein kleines Mädchen Berg hoch angeschoben hat. Ich dachte mir, das ist doch ein man’s job. Dann sah ich, dass der Mann angeschossen war, blutverschmiert auf seinem Fahrersitz saß und sie auf dem Weg ins Krankenhaus waren.  Zum Glück konnte ich helfen!

Du hast dich auch mit Karriere und Rückschlägen beschäftigt?
Ich wurde mal um einen Vortrag mit dem Titel: Misserfolge in der Wissenschaft gebeten. Ich dachte hmm und wusste nicht, ob ich beleidigt oder geschmeichelt sein soll. Aber meine Kollegin frage mich nur, da sie dachte, dass ich offen über so etwas reden würde. Es ist wichtig, dass Studierende wissen, es kommt nicht immer sofort zu Erfolg. Nachdem ich Paviane studiert habe, unterrichtete ich in den USA Wildtierverhalten. Aber danach war es sehr schwierig, einen Job zu finden. Dann bin ich nach Deutschland und ich hatte erstmal Schwierigkeiten mit der Sprache. Zudem habe ich mich entschieden den Rest meines Lebens nicht im Dschungel zu verbringen und musste die Wildtierforschung aufgeben. Man gewöhnt sich eben doch an einen Partner, Kinderwünsche und einen Hund. Die Lösung war dann mich auf Biologiedidaktik zu konzentrieren, was ich auch sehr wichtig finde.

Bist du ein Vorbild für deine Studierenden?
Ich versuche es, aber auf eine ganz andere Art und Weise.  Ich gebe es immer zu, wenn ich einen Fehler gemacht habe oder wenn ich mir bei etwas nicht sicher bin, um meinen Studierenden zu zeigen, dass das ok ist. Jeder muss sich selbst so annehmen, wie er ist.

Was macht dich gerade optimistisch für die Zukunft?
Ich bin ein pathologischer Optimist. Was mich sehr freut ist, dass sich viele Studierende Gedanken machen um Probleme und Themen, die mich auch seit meiner Kindheit bewegen. Damals war ich aber immer die Außenseiterin, wenn ich über Kompost auf dem Schulgelände gesprochen habe.

Was ist dein Traum für die Zukunft?
An der Uni weiter zu lehren und weiter zu forschen. Ich hoffe, dass ich zu mehr inklusiven Bildungsbereichen beitragen kann.

Was gefällt dir an Weimar?
Ich kann überall hinlaufen. Immer wenn ich durch die Stadt laufe, werde ich daran erinnert, dass ich in Deutschland bin und das finde ich toll. Diese kleinen Gassen, wo man sich immer verläuft!



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